Eine Welt in Rätseln

2011 – das Kleist-Jahr. Heute vor 200 Jahren erschoss Heinrich von Kleist sich und seine Geliebte Henriette Vogel am Kleinen Wannsee/Berlin.
Kleist war an der Welt erkrankt. Eine Welt, die nicht greifbar für ihn war.

Eine kleine Hommage an einen modernen und kompromisslosen Künstler.

Kleist ent-rückte der Welt nachdem er sich 1801 mit dem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant beschäftigte. Die Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie wurde zu dem zerstörenden Erlebnis seines Lebens und führte zu seiner Bewusstseinskrise, die unter dem Namen Kant-Krise bekannt wurde.
Der Philosoph Kant stellte fest, dass der Verstand die Welt konstruiert. Somit kann der Mensch die Welt niemals sehen, wie sie wirklich ist, weil das menschliche Erkennen an die Bedingungen des Verstandes gebunden und begrenzt ist. Das Erkenntnisproblem stellte den Sinn der menschlichen Existenz in Frage.

Die Welt wurde für Kleist zum Rätsel.

Von nun an war er auf der Suche nach Kriterien der objektiven Wirklichkeit. Die Wahrheit wurde für Kleist zum Fremden. Ein Dualismus zwischen Verstand und Gefühl entstand, den Kleist auf all seine Figuren übertragen hat. Vor allem seine männlichen Protagonisten mussten lernen, ihrem innersten Gefühl zu vertrauen, auch wenn alle Gegenbeweise der Wirklichkeit eine andere Wahrheit sprachen. Nur so kann man in einer verrätselten Welt, in der Vernunft, Bildung und Sprache ihres Fundamentes beraubt wurden, bestehen. Eine der leidenschaftlichsten Figuren ist sicher das Käthchen von Heilbronn, das wie im Wahn ihrem Graf von Strahl überall hinfolgt und auf die Frage, warum sie dies tue mit „Weiß nit“ antwortet, ihr Nicht-Wissen aber niemals in Frage stellt, sondern tut, was ihr innerstes Gefühl ihr sagt.

So kompromisslos wie das Käthchen, so kompromisslos war auch Kleists Suche nach der Wirklichkeit. Am Ende zerbrach er an ihr – unverstanden und verkannt. Wie seine Figuren scheiterte Kleist an der Realität. Ihm war „auf Erden nicht zu helfen“.

Dabei gilt der Dramatiker heute als Vorreiter der Moderne und seine Identitätskrise und Sinnsuche bleibt aktuell. Stellt nicht jeder irgendwann dieselben Fragen an das Ich wie die Kleistschen Figuren: „Was kann ich wissen?“ und „Was soll ich tun?“.

Ob Kleist durch die Hintertür ins Paradies eintrat? Es sei ihm gegönnt.

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